Doctor‘s House, Liuli, Tanzania // 12:00 Ortszeit
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass die Nacht, trotz der direkt daneben liegenden Disko, deutlich besser war als erwartet. Auch wenn sich sicher nicht an irgendwelche Lautstärkegrenzwerte – vorausgesetzt sowas gibt es hier – gehalten wurde, und es wirklich meinen Raum durchschüttelte bis in den frühen Morgen, war die Nacht sehr angenehm. Ich wurde von keinem Krabbeltier gebissen, auch musste ich erfreulicherweise die Toilette nicht nutzen.
Mein Treffen mit Gift, dem hospital secretary, war geplant um 6:20. Also vorher aufstehen, versuchen zu duschen. Leider passierte überhaupt nichts als ich den Hahn in diesem Bad umdrehte. Also musste doch der Kübel mitsamt Schöpfkelle, eigentlich gedacht um die Toilette zu spülen, herhalten. Aus Wassermangel wurden die Haare ausgelassen, wenige Minuten später war ich dann halbwegs frisch gewaschen fertig und konnte meine letzten Sachen zusammenpacken. Beim Zusammenlegen meiner Jacke, welche ich unter mein Kopfkissen legen musste (scheinbar ist die Hausstaubmilbenbelastung in diesem Bett so hoch, dass meine seit Jahren stille Allergie zurück kam), klopfte es fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit an meiner Tür. Sehr pünktlich dieser Mann. Schnell mein Zeug zusammengepackt, aufgesperrt, Sachen ans Taxi getragen, nochmal alles kontrolliert, eingestiegen und schon düste der Fahrer los zum Busbahnhof. 15.000 TSH (ca. 6€) ärmer, aber sehr schnell am Ziel, wurden wir abgeladen. Ich bewachte das Gepäck während Gift im Getümmel verschwand. Ungefähr eine halbe Stunde später rollte unser Bus auf den Platz. Immerhin, kein uralter Zossen. Wirkt sogar recht modern, drei Achsen, recht hoch, Reisebus. Wird sicher gut. Gift holte mich ab, die drei Kisten für‘s Krankenhaus und mein großer Reiserucksack wanderten recht lieblos in den Gepäckraum und wir bezogen unsere Plätze. Zweite Reihe, ich am Fenster, guter Blick nach vorne. Ledersitze, ziemlich im Eimer, Beinfreiheit (selbst für meine 173 cm) gleich null, aber mit Schiebefenster. Die Fahrt kann starten. Meine Frage, ob wir dann in vier Stunden, wie geplant, ankämen, wurde mit einem kleinen Lacher verneint. Mit dem Auto vier Stunden. Mit dem Bus mindestens das doppelte. Darauf hin noch schnell antikoaguliert, sicher ist sicher und schon setzte sich unser Gefährt mit dem unablässigen Betätigen der ziemlich lauten Drucklufthupe in Bewegung.

Unser erstes Zwischenziel sollte Mbinga sein. Zwei Stunden waren geplant dort hin. Im Endeffekt haben wir nur etwas länger gebraucht. Unserer erster Fahrer, ein recht schmächtiger Mann mit Kaputzenpulli fährt. Oder besser gesagt: Er überholt. Er überholte wirklich alles und jeden, keine Sicht über die nächste Kuppe, keine Sicht um die nächste Kurve, keine Sicht am Lastwagen vor uns vorbei. Aber egal, drauf auf die Hupe, runterschalten und mit Vollgas vorbei. Spannenderweise überlebten wir allesamt. Die Sache mit den Kaputzenpullis ist recht spannend: Oftmals wurden Fenster geschlossen, weil es doch noch viel zu kalt wäre. Kann ja heiter, werden dachte sich mein jetzt schon schwitzendes Ich. Spätestens alle zwei Minuten stoppte der Bus am Wegesrand, es stiegen entweder Menschen ein, alternativ wurden Säcke oder Eimer oder Post eingeladen. Nach ca. zwei Stunden rasanter Fahrt erreichten wir Mbinga.


In Mbinga scheint wohl eine Art Umsteigeplatz zu sein. Der Hof, auf welchen wir draufrollten, war prall gefüllt mit mehr oder minder schrottreifen Bussen. In einige wenige würde ich auch einstiegen, allerdings würde sicher keiner mehr irgendeine europäische Sicherheitskontrolle bestehen. Aber glücklicherweise sind wir ja in Afrika, Tanzania, Mbinga, irgendwo in der Rumuva-Region, unendlich weit von zu Hause entfernt, gelandet. Gift sagt mir, hier würden wir eine Frühstückspause einlegen. Also Rucksack aufgesetzt, raus aus dem Bus und Gift nach. Dieser holte sich direkt zwei Suppen, eine scheinbar mit Fleisch, Knochen und Innereien, die andere mit Bohnen, Bohnen, Bohnen und etwas Speck. Beides, unter anderem in Hinblick auf die bevorstehenden Stunden, eher ungeeignet. Dem Jungen neben mir wurde ein köstlich aussehendes pfannkuchenartiges Gepäck gebracht, ich verlangte direkt zwei davon: Tatsächlich Pfannkuchen, sogar unglaublich leckere! Dazu bekam ich noch eine Tasse äußerst schmackhaften Tee und löhnte wahnwitzige 700 TSH (ca. 28 cent). Nach 90 Minuten inclusive Toilettenbesuch kündigte die Hupe baldiges Abfahren an. Einsteigen, weiter geht‘s.



Jetzt fährt ein anderer Mann. Zwar überholt er weniger, dafür fährt er aber signifikant schneller. Das wenige Überholen ist aber auch eher dem abnehmenden Verkehr geschuldet. Verkehrsberuhigunge Bauwerke, wie wirklich wirklich böse Schwellen in der Straße, werden ebenso ignoriert und mit Karacho überfahren wie Fußgängerüberwege oder dergleichen. Auch wenn alle Überwege auf einem kleinen Plateau liegen, und wir dementsprechend immer aus dem Sitz gehoben wurden, wurde sicher nicht vom Gas runter gegangen. Sollten Fußgänger dort stehen, dann wurde – oh Wunder – einfach gehupt und vorbeigefahren. Standen Fußgänger allerdings an der (oftmals nicht markierten) richtigen Stelle, so wurde natürlich ebenfalls gehupt, angehalten um sie einsteigen zu lassen. Natürlich wurden auch hier ab und an nur Säcke oder einfach rohe unverpackte Fische mitgenommen. Alles normal. Bei der Abfahrt, wurde natürlich auch wieder die Hupe genutzt. Ohne diese geht hier nix. Interessant war das Entertainment im Bus. Bei Abfahrt lief noch etwas zu laute lokale Musik samt Musikvideos. Trotz 90% Lautstärke meiner Black-Metal-spielenden Kopfhörer, war die Musik noch deutlich zu hören. Der neue Fahrer entschied sich scheinbar für einen Film. Für den Rest der Fahrt wurden also Low-Budget Kurzfilme gezeigt, allesamt aus türkischer Produktion aber in Swahili „synchronisiert“. Die Synchro funktioniert scheinbar so, dass ein paar Jungs den Film nehmen und sobald jemand redet (egal ob männlich oder weiblich), die Tonspur komplett abschalten und das Gesprochene in ihr Mirkophon sprechen. Das Mikrophon ist scheinbar aus einer Dose, einem Gummi und einem Stück alter Telegraphenleitung selbst gebaut, andernfalls ist die Tonqualität nicht zu erklären. Das Ausblenden des Tons führt teilweise zu lustigen Tonschnipseln: So dröhnte ab und zu ein Hubschrauber, ein abstürzender Düsenjäger, eine Disko oder gar eine Schießerei durch unseren Bus, ununterbrochen von der „Synchronisation“ und natürlich der gequälten Hupe unseres Busses. Die weiter Fahrt wurde nur kurz durch ein Schild unterbrochen, welches befahl, nicht mit mehr als 3,5 Tonnen Gesamtgewicht durchzufahren. Der kommende Streckenabschnitt wäre keinesfalls dafür ausgelegt. Wenige hundert Meter nach dem Schild erschien rechts ein Gebäude, vor dem Gebäude eine Achslastwaage. Dies zeigt für die Vorderachse knapp acht Tonnen, für die zweite Achse samt Schleppachse ungefähr zwölf Tonnen. Ein Offizieller schaute sich die Zahlen an, nickte freundlich und schon ging es, mit nur 16,5 Tonnen zu viel, auf die, für uns eigentlich gesperrte, Straße. Bis Mbomba-Bay verlief die Fahrt meinerseits hauptsächlich schlafenderweise, in Mbomba-Bay wurde der nächste Stopp eingelegt.

In Mbomba-Bay verschwand Gift mit einem Umschlag samt Geld. Dieser Umschlag war wichtig für meine Arbeitserlaubnis. Nachdem dieser abgegeben wurde holte ich mir noch etwas zu trinken, Gift eine Portion Pommes, ich mir die köstlichste Banane des Universums (für 100 TSH, also vier Cent), und es wurde wieder fleißig umgestiegen, umgepackt, ein- und ausgeladen. Gift sagte mir bereits, dass der nächste Abschnitt „a little bit ruffer“ werden würde. Mit „a little bit“ habe ich ja seit gestern meine Erfahrungen, ich stellte mich also auf Wildes ein.



Jetzt fährt wieder ein anderer. Nennen wir ihn mal Walter Röhrl. Er muss sicher Rallyefahrer sein, andernfalls kann ich mir die wahnwitzige Geschwindigkeit, sowie das skrupellose Steuern unseres 20-Tonners in Menschenmengen wirklich nicht erklären. Auch jedes Schlagloch wurde scheppernd mitgenommen, der Bus rutschte, lief am Hang quer und wurde wieder in die Spur gezogen. Jetzt erklärt sich mir auch, wieso die Spur des Busses so dermaßen verstellt ist. Wenn dieses arme Gefährt jeden Tag diese Tortur mitmachen muss, dann wird einiges klar, umso weniger möchte ich die Radaufhängung von unten sehen. Nach wenigen Minuten wurde unsere Fahrt von einem sehr schlammigen steilen Berg gestoppt. Der Bus hielt, Feststellbremse rein, Tür auf, alles aussteigen und zu Fuß den Berg hoch. Der Bus sollte direkt folgen. Dies tat er auch, zumindest die Hälfte der Strecke, dann ging nix mehr. Weder vor, noch zurück. Im Schlamm eingegraben, da konnte unser Walter machen was er wollte. Ratlos stand ich da, und wusste nicht ob wir helfen gehen sollte zu schaufeln oder zu schieben. Aber was will ich bei 20 Tonnen am Berg machen, außer später tot darunter zu liegen? Im Sinnieren überholte mich ein sandgelbes großes Etwas. Einen Moment brauchte ich schon, um den Grader der Firma CAT zu begreifen. Ich hab hier wirklich mit allem gerechnet, aber nicht hiermit. Eine viertel Stunde später standen Bus und Grader vor meiner Nase, gerade so im Ebenen, dass der Bus wieder anfahren konnte. Also allesamt einsteigen, sich‘s gemütlich machen und weiterfahren. Weit gefehlt. Ca. 300 m später hielt der Bus wieder. Feststellbremse. Tür auf. Alle raus. Vor uns ein Hand, unten am Hang eine deutlich zu schmale Brücke, darunter arbeitende Männer welche ein Rohr installieren sollten. Zu Fuß war die Brücke kaum gefahrlos zu überqueren, so rutschig war es und so tief sanken wir ein. Schnell kamen ein paar Männer mit Schaufeln, es wirde eifrig versucht de Brück notdürftig zu verbreitern und die Schlammlöcher etwas ebener zu bekommen. Half alles nichts, wir mussten warten. Kein Empfang, einen Fahrer aus Liuli rufen war also auch nicht drin. Nach einer Ewigkeit kroch der Bus langsam den Berg hinab. Vor der Brück erneutes stehenbleiben, schauen, erster Gang und mit Gas über die Brücke. Das selbst Walter die Schweißperlen auf der Stirn standen deutete eindeutig auf den Ernst der Lage hin. Oder ob es der seit einiger Zeit zusehende Polizist war, welcher ihm die Schweißperlen auf die Stirn trieben? Keine Ahnung. 20 Meter weiter durften wir dann wieder alle in unseren noch vollständigen Bus einsteigen. Weiter lief der wilde Ritt. Die nächsten zwei Stunden waren geprägt von weniger gehupe (außer natürlich alle zwei Minuten an einer „Haltestelle“ aka. Baum), etwas gerutsche, viel viel Vollgas und viel Kurbelei am Lenkrad seitens Walter. Auch wenn ich mein Leben mehrfach an mir vorbeiziehen sah, kamen wir dann endlich gegen 16:30 Uhr in Liuli an.







Die vierte Haltestelle in Liuli gehörte uns. Aussteigen, nach längerer Sucherei wurde dann auch mein Rucksack unter drei großen, zentnerschweren Säcken (wohl mit Kartoffeln gefüllt) gefunden. Für 1.000 TSH wurde mein Rucksack auch zum Doctor‘s mittels Mopped gebracht. Die drei anderen Famulant:innen erwarteten mich schon freudig. Der Weg zum Doctor‘s House verlief durch den Ort, 10 Minuten Fußweg. Zuerst brachten wir die Kisten mit der Medizin in die Krankenhausapotheke, dann mich ins Doctor‘s House.
Alles weitere zur Ankunft, zum Doctor‘s House und dem Krankehaushaus wird etwas später kommen, jetzt muss ich leider mit den drei anderen ein Bier trinken gehen. Also dann, bis später!


Edit: Die Nacht war sehr entspannt, endlich angekommen. Allerdings ist die Versorgung mit Internet etwas schwieriger, deshalb kann ich mich wohl nicht mehr jeden Tag melden. Über das Krankenhaus schreibe ich die Tage!
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