Doctor‘s House, Liuli, TZA // 20:00 Ortszeit

Anmerkung: Bilder leider erst wieder die Tage, tut mir Leid. Ich bin froh, dass ich hier überhaupt schreiben kann!

Dienstag

Den ersten Tag hatte ich ja bereits beschrieben. Der zweite startete direkt voll durch. Also wir zu viert um viertel vor neun im OPD (out patient departement, irgendwas zwischen Nothilfe / -Aufnahme und Ambulanz) ankamen fanden wir zunächst keinen Arzt vor. Ein paar Patient:innen saßen natürlich schon im Wartebereich. Eine junge Dame stach uns allerdings ins Auge. Nach ein paar Jahren Rettungsdienst hat man irgendwann einen Blick für Patient:innen, denen es einfach nicht gut geht. Diese Frau zog schon unsere Blicke auf sich, beim Nähern fiel dann direkt die nicht so kleine Blutspur unter ihr auf. Also Patientin mit Blutverlust, kein Arzt, wir alleine. Und da ist er schon: der erste waschechte Notfall, und das am zweiten Tag! Irgendwie fühlte es sich zu verdächtig nach dem Erfurter „Johannes-Thal-Klinikum“ an. Kennerinnen und Kenner wissen von was ich rede! Also auf Notfallmodus umschalten, Rollstuhl holen, ab auf Station und alles an Diagnostik laufen lassen was geht. Hier beschränkt sich das Monitoring erst mal auf Blutdruck (60 systolisch) und Pulsoxymetrie (die war immerhin gut), mehr gibts einfach nicht. Wem das nichts sagt, keine Angst: Auf gut deutsch ging es unserer Patientin richtig scheisse, die Kacke war am Dampfen und alles sah nach hohem Blutverlust aus. Aus Ermangelung an Ambulanzräumen geschah die weitere Versorgung auf Station. Nach einiger Stabilisierung, Blutentnahmen und einer Anamnese, welche Gott sei Dank gut funktioniert – die Patientin spricht sehr gutes Englisch – kam dann auch der Chefarzt Dr. Matthews auf den Plan. Nach ein paar lobenden Worten entschloss man sich, die stattgefunden Fehlgeburt mit einer Ausschabung zu beenden. Ich weiß, das klingt alles sehr hart. Aber leider gehört es dazu, deutlich mehr Frauen erleben eine Fehlgeburt als man denken mag und das Risiko kann dabei recht hoch sein. Immerhin schaffte es unsere Patientin (mit dem Motorrad-Taxi „Picky-Picky“!!) in die Klinik, so konnte schlimmeres verhindert werden. Übrigens wurde sie einen Tag später entlassen, ihr geht es soweit gut und sie ist stabil. Die Erfahrung war aber krass, auch sieht man hier, dass man ab und an „aus Scheisse Pudding“ machen muss. Nichts ist da, alles fehlt, kein Personal da, aber die Situation verlangt es eben. Das Wissen, dass alles funktioniert hat ist sehr beruhigend.

Der weitere Tagesverlauf war ohne besondere Vorkommnisse, leidlich ein kleiner Stromausfall führt dazu, dass wir eine Ultraschalluntersuchung für einige Minuten unterbrechen mussten. Ist hier ganz normal.

Nachmittags liefen wir ins Dorf. Hier ist ist wirklich immer was los. Die Menschen freuen sich, spielen Brettspiele und sogar Billard! Liebevoll eingerichtete Bars wirken auf den ersten Blick total zusammengeschustert. Hier ist echt alles verbaut, von Beton über Mehlsäcke. Aber egal, es funktioniert, die Gemeinschaft lebt und man wird ebenso schnell in diese Aufgenommen. Übrigens fand ich hier auch endlich meinen geliebten Kaffee – auch wenns nur Instantkaffee ist, besser als nichts ists auf jeden Fall. Auch die Hürde, unserer nur Swahili-sprechenden Haushälterin Monika zu erklären, dass es super wäre, wenn wir morgens und nachmittags kochendes Wasser hätten habe ich irgendwie geschafft. Keine Ahnung wie, Aber es ging. Wer an einen Wasserkocher denkt, den muss ich enttäuschen. Selbst wenn der vielversprechende Wasserkocher nicht defekt wäre, der Strom ist sowieso häufig nachmittags nicht verfügbar. Also danke Monika, dass du meinen Ausdruckstanz mit dem Titel „Kaffeenotstand im Ruvuma-Land“ verstanden hast!

Der Dienstagabend war mal wieder von Bauchschmerzen geprägt, auch wenn ich keinen Spinat gegessen hatte – irgendwas anderes war es dann wohl, aber egal. Nach einem kurzen Nickerchen ging es für alle zu Jo‘s Paradise, Rebecca dachte immerhin an Spielkarten. Wieso ich meine Spielkarten aus meinem Rucksack ausgepackt habe ist mir ein Rätsel, nach so vielen Stunden die sich mich prokrastinierenderweise in der Uni begleitet haben, ich hätte es besser wissen müssen. Das rechte Feeling kam nicht auf, wenn man die massiv versifften Spielkarten aus dem Stüberl der Planegger Feuerwehr kennt, dann kann es einfach nicht aufkommen. Allerdings floss auch etwas weniger Bier, es wurde kein Schafkopf gespielt und der Malawisee lag nur wenige Meter vor uns. Hatte dann doch nix mit Stüberl zu tun, also alles gut, machte richtig Spaß. Zurück auf der Terrasse wurden wir von Rebecca in die wundersame Welt des „polnisch Poker“ eingeführt. Ich bin etwas froh, dass wir nicht dazu getrunken haben, dann hätte ich den anschließenden Fußmarsch nicht gepackt. So wirklich erfolgreich war ich nicht, immerhin hab ich die Regeln so halb verstanden.

Man höre und staune, aber ich wurde dazu gebracht mit ins Dorf zu gehen um Fußball zu sehen. Zugegebenermaßen muss ich zugeben, dass das Zusehen mehr Spaß gemacht hat als erwartet, auch wenn mir die Spielregeln immer noch schleierhaft sind. Abseits? Ja bestimmt! Oder doch nicht? Und was fuchtelt der Mann am Spielfeldrand mit der Flagge rum? Leider ist das Flaggenalphabet mit nur einer Flagge nicht anwendbar, keine Ahnung was er von mir oder den 23 Menschen auf dem Platz wollte.

In der Halbzeit traten Rebecca und ich dann doch die Flucht an. Im Doctor‘s House verschwand sie gleich um sich langzulegen, ich musste dann doch noch unters Wasser. Abgetrocknet im Bett wurde es dann doch kurz gruselig: Die Tür konnte ich noch nicht abschließen, immerhin waren die Jungs noch bei Michael‘s Sportsbar am Fernsehgerät gefesselt. In der Küche rumpelte es gewaltig und als ich kurz aufstand um zu sehen was war lief ich auch an der Tür vorbei um kurz einen Blick nach draußen zu erhaschen. Das Licht auf der Terrasse ist für unsere „Watch-Men“ immer an, also konnte ich alles gut sehen. Mit dem Gesicht, welches nur 70 cm vor mir auftauchte, konnte ich natürlich nicht rechnen. Winziger Herzkasper, Adrenlin, Fluchtreaktion und Tunnelblick begleiteten mich durch die nächsten Sekunden – der Mann auf der anderen Seite sah mir dabei nahezu liebevoll zu. Er bedeutete mir dir Türe zu öffnen und sagte mir dann, dass er nur einer der Watch-Men sei. Also alles gut, aber für meinen Kreislauf hat sich‘s gelohnt.

Mittwoch

Der Mittwochmorgen begann für alle etwas später, leider nur zu 50% geplant. Die Jungs vereinbarten ein verspätetes erscheinen, Fußball war lange, immerhin waren ein Drittel des Medizinischen Personals auch bei Michael. Hier ist das kein Problem, eine echte Konsequenz für die Klinik gab es auch nicht. Die nächtliche Aussage „wir gehen morgen später!“ fasste ich allerdings etwas falsch auf, so saßen Rebecca und ich auch zehn Minuten nach der normalen Abmarschzeit noch lesend auf der Terrasse, ein paar verdutze Blicke später seitens der Jungs ging‘s dann aber direkt los – zumindest für uns zwei.

Der Krankenhaustag begann dann doch recht unspektakulär mit der Visite. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als uns ein Piepsen immer näher kam. Da dieses aber von allem anderen gänzlich ignoriert wurde machten wir uns auch keine wirklichen Gedanken – bis zum letzten Raum der Visite. Dort lag ein Frühchen in einer piepsenden und warnenden Neo-Rea-Einheit (quasi ein Tisch mit Heizung, Heizstrahler und allerhand Equipment zur Wiederbelebung eines Säuglings), Mama und Großmama saßen daneben und betrachteten sich das Kind. Problem: Scheinbar hat dieses Gerät einen Defekt, die Heizung geht nicht – der denkbar schlechteste Fall für ein solches Kind. Mama wurde sogleich mitgenommen und in die Känguru-Methode eingeführt – die ist hier sowie am besten: braucht keinen Strom, keine Wartung und niemanden der Fehlercodes entziffern kann. Lediglich eine Mama, ein paar Decken und ein der Unterkühlung nahestehendes Frühchen werden benötigt. (An dieser Stelle möchte ich kurz erwähnen, dass es Kind und Mama gut gehen.) Auf der Suche nach Hilfe lief mir Bob über den Weg (oder Richard, oder Rich, oder Bob-Rich. Niemand weiß es). Er ist der Mann für alles was mit Bildgebung zu tun hat. Er macht die Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen, befundet sie und kennt sich auch bestens mit den Geräten aus. Also schnappte ich mit Bob-Rich, zerrte ihn zu der immernoch fröhlich blinkend-piepsenden Neo-Einheit und fragt ihn, ob er eine Idee hätte. Ein lachendes „I am not interested in this kind of machine“ ließ uns ratlos zurück – es war auf jeden Fall witziger in der Situation als es sich hier ließt. Danke Bob für deine Mühe! Auch mein Versuch, Dr. Google um Hilfe zu beten schlug fehl. Unser Gerät zeigte Fehler „H13“ an, die Anleitung kennt nur „H01“ bis „H11“. Naja, wir wären auch nicht in Afrika, wenn es eine einfache Lösung gäbe.

Im weiteren Vormittag stellte sich nur noch ein Mann vor, welcher sich dummerweise den Oberarm gebrochen hatte. Wenn man hier keine Unterarme operieren kann, dann Oberarme schon 3x nicht, so wurde nur geröntgt, und notdürftig versorgt. Vermutlich fuhr der Patient direkt ins größere Krankenhause – 2 Stunden, mit Picky-Picky. Krankentransport? Wer hier dieses Wort in den Mund nimmt wird eher ausgelacht.

Der Nachmittag wurde mal wieder schwitzenderweise auf der Terrasse verbracht, endlich konnte ich Lothar-Günther Buchheims „Das Boot“ zu Ende lesen. Ab 22:00 Uhr nahmen wir noch in einem online-Meeting unserer Organisation „Friends of St. Anne‘s e.V.“ teil, der Austausch war super, und vermutlich gibt es auch schon bald eine Lösung für die Neo-Einheit.

Donnerstag

Heute sollten Rebecca und ich alleine im Krankenhaus sein – die Jungs besuchten am Vormittag die örtliche „St. Paul‘s High School“. Wir werden morgen dort sein, natürlich gibts hier einen kleinen Bericht!

Schon um acht fanden wir uns auf dem Hof zwischen Bobs geliebtem Röntgen, der Kinder- und der Frauenstation ein. Uns wurde ein sehr fröhlicher Gottesdienst mit Musik versprochen. Wieso dieser ausgefallen ist? Keine Ahnung, zumindest liefen wir wieder nach Hause. Rebecca rann auch gleich zum See, ich vertrieb mir lieber die Zeit in gewohnter Weise. Sessel. Kaffee. Buch.

Seit Mittwochabend gehen die anderen auch Schwimmen. Die ursprüngliche Angst, dass im See böse Pärchenegel, die Übertrager der Bilharziose bzw. Schistosomiasis, leben, die wurde im Meeting wie weggeblasen. Die vorherigen Berichte der Einheimischen, welche immer wieder betonten „no parasite! No parasite!“ (Zumindest in dieser Bucht, in allen anderen Buchten schon), und Dr. Evans Meldung, dass er seit Jahren hier keine Fälle gesehen haben konnte uns nicht so recht überzeugen. Zudem Dr. Evans auch erst seit Juli letzten Jahres hier ist. Egal. Zumindest brachte das Meeting einen gewaltigen Stein ins Rolle und so sah ich Rebecca heute morgen, sieben Minuten nach acht, schon den Dschungel runter rennen, ab ins Wasser. Ein Wunder, dass sie sich in ihrem Tatendrang nicht in den Birkenstock mindestens 12 Bänder abgerissen hat. Da ich sowohl meine Bänder, als auch meinen Kaffee sehr gern habe, blieb ich wie gesagt auf der Terrasse. Auch wenn es wohl wirklich keine Bilharziose in exakt dieser einen Bucht gibt, dann hab ich trotzdem wenig Lust auf Typhus, ne Amöbenruhr oder Cholera. Mein armer Bauch muss hier genug mitmachen.

Um viertel vor neun fanden wir uns im OPD mit Dr. Evans wieder. Auf dem heutigen Plan sollte eine große Visiterunde und ein Kaiserschnitt einer fünfzehnjährigen stehen. Nach der Visite versorge Rebecca eine Wunde, ich bereitete unsere Patientin für die OP vor. Mit einer freundlichen Hebamme oder Pflegerin (die Grenzen sind hier SEHR fließend), machte ich mich ans Werk. Kurz darauf holte Bernhard (der Anästhesiepfleger und Anästhesist im praktischen Paket) die Patientin ab und wir stiefelten in den OP. Auch hier ist „stiefeln“ wieder wörtlich gemeint. Aus Ermangelung an OP-Schuhen werden hier einfach weiße Metzgergummistiefel getragen. Zugegebenermaßen oder Boden nach einer Schlachtung und nach einem Kaiserschnitt nicht immer so gut zu unterscheiden, viel rote Flüssigkeit gibt‘s definitiv in beiden Fällen. Dr. Evans operierte, Rebecca stellte die erste Assistenz und ich sollte mit der netten Dame von eben das Kind versorgen. Kurz nach Schnitt hielt ich auch schon ein schreiendes, kleines Mädchen im Arm. Alles war gut, vor allem atmete es direkt spontan. Dies ist hier leider keinesfalls an der Tagesordnung. Hier fehlen einfach die Möglichkeiten um andere Anästhesieverfahren als NUR Ketamin anzuwenden. Das Kind bekommt etwas davon ab und mit Atmen und Kreislauf ist dann oftmals nicht so wirklich am Anfang. Aber hier sollte alles gut gehen. Ich lernte, wie man hier ein Kind burritomäßig in schöne bunte Decken wickelt, es untersucht und misst. Spannend und auch mit wirklich wenig Dingen zu lösen!

Eigentlich wäre jetzt für uns Feierabend. Geschwitzt haben wir auf jeden Fall mehr als genug, haben versorgt, genäht, Zugänge und Katheter gelegt und im OP assistiert. Aber wie es so ist, es sollte auch direkt der zweite Kaiserschnitt kommen. Das Putzen des OP geht hier besonders schnall, also leider auch keine Zeit fürs Mittagessen. Doof. Aber so ist das eben.

Rollentausch! Rebecca beim Kind, ich die erste Assistent. Das war auf jeden Fall mega spannend! Gemacht hab ich‘s noch nie, ich wurde allerdings von Dr. Evans super an die Hand genommen, und wir brachten das Kind in wenigen Minuten zur Welt. Eine weitere Beschreibung von Menge, Aussehen und Geruch der Mischung aus Mekonium, Fruchtwasser, Blut und Schleim erspare ich mir hier wieder. Dummerweise fehlt es hier auch an einer Möglichkeit der Absaugung, also wurde die gesamte Suppe mit Tüchern abgetupft, eben diesen wurde durch Handkraft die eben sorgfältig aufgesaugt Brühe wieder entrissen und in eine Nierenschale verbracht und dann wieder getupft. So war ich erst mal viel mit Tupfen – Ausdrücken – Tupfen und wieder Ausdrücken beschäftigt, Hauptsache Dr. Evans konnte alle Blutungsquellen identifizieren. Die Gebärmutter wurde dann auch sorgfältig zusammengenäht – jeder Obersteiner wäre stolz auf einen so sorgfältig verschnürten Rollbraten – und danach wieder ins Innere unserer Patientin verbracht. Nach der Hälfte der letzen Naht drückte mir der Operateur Nadelhalter und Pinzette in die Hand, ich sollte nähen. Zunächst musste mir Rebecca meine Spritzschutzbrille von der Nase ziehen, dadurch sehen und Nähen fühlte sich ähnlich an wie das Treffen des Schlüssellochs der Haustüre – direkt nachdem man 15 Bier in der Kneipe um die Ecke getrunken hatte. Aber ich wusste es ja, also erst Anfangen wenn die Brille weg ist. Das weitere Nähen verlief dann aber recht gut, meine Augen zwangen mich jedoch wirklich nach ran zu gehen. Glücklicherweise nähte ich mir weder meine Maske noch meine Nase an die Patientin, Dr. Evans schien recht zufrieden zu sein – oder er war viel in Vegas, andererseits ist sein Pokerface nicht zu erklären.

Um 16:00, nass geschwitzt, endlich aus dem Klinik-Zeug raus, ab auf die Terrasse und Essen. Kartoffeln und Spinat, also für mich nur Spinat. Eine Stunde lesen, ab zu Joseph‘s Paradise und Blog schreiben. Mehr brachte der Abend nicht hervor. Doch! Monikas super Chapati und Tomatensoße, die ist erwähnenswert!

Ich werde jetzt gleich (mal wieder) duschen, natürlich mit Seewasser. Ob es gefiltert ist? Keine Ahnung, manche hier sagen ja, gestern im Meeting hieß es nein, heute hörte ich schon „double filtered“. Ich werde weiterhin beim Wachen möglichst viele Körperöffnungen geschlossen halten, meine Zähne brav mit Trinkwasser putzen und nicht in den See gehen. Mein Flugticket ist nur auf mich gebucht, nicht auf blinde Passagiere namens Amöbe, Typhus, Cholera, Bilharziose oder sonstige lustige Würmer, die sich mit Sicherheit sehr wohl innerhalb meines Darms fühlen würden.

Also, bis dann!

Lala Salama.