Doctor‘s House, Liuli, TZA // 18:00 Ortszeit
Der Samstag war wirklich entspannt. Außer lesen, Strand, zwei drei Kleinigkeiten erledigen, spätes Aufstehen und frühes zu Bett gehen ist wirklich nichts vorgefallen. Aber muss ja auch nicht jeden Tag sein. Also starte ich direkt mit dem Sonntag.
Man höre und staune, aber ich bin tatsächlich in ner Kirche im Gottesdienst gewesen. Der örtliche Pfarrer / Pastor (ich weiß nicht, was er ist… er hat ein blaues Hemd und ein weißes Ding im Kragen, so viel kann ich sagen) hat uns mehrfach eingeladen. Es ist ein wirklich freundlicher, fast knuffig-süßer älterer Herr mit dem Namen Nicholaus – dass er immer „Niklas“ sagt freut mich aus Gründen schon ein wenig. Dementsprechend musste ich quasi in die Kirche. Den Gottesdienst bekommt man hier im Doctor‘s House auch so immer mit, es sind nur knapp 100 m Luftlinie zwischen Gottes- und Doctor‘s Haus. Unser Tag begann also wirklich früh, um halb acht saßen wir schon zum gemeinsamen Frühstück auf unserer Terrasse, welche vorher noch von Blättern und Ästen befreit werden musste – ein ordentlicher Tropensturm zog in der Nacht über Liuli.
Pünktlich um acht waren wir auch schon in der Kirche. Eine recht große Kirche, es gab bestimmt 20 Bankreihen, eine großes Haupt- und recht große Seitenschiffe. Lediglich die Höhe des Baus war deutlich unter dem, was man aus Europa gewohnt ist. Immerhin hatte sie überhaupt ein Dach – ist hier auch nicht so selbstverständlich. Ansonsten waren noch ein paar Messdiener, unser guter Nicholaus, zwei andere Geistliche, ein Kantor, zwei weitere Musiker und nur eine Handvoll Gemeinde anwesend. Zunächst ging ich davon aus, dass es sich wie bei uns zu Hause oder jeder mir bekannter Gemeinde verhält und die Kirche nur zu 5% gefüllt ist. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich wohl wieder zu deutsch, das Verständnis von Pünktlichkeit ist hier durchaus ein anderes. Außerdem hatte es ja geregnet, da kann man auf jeden Termin ohnehin eine unbestimmte Zeit t draufrechnen.
Da ich leider wenig bis gar keine Ahnung hab, wie man sich in einem katholischen (??) Gottesdienst verhält, in Kombination mit meinem extrem rudimentären Swahili-Wortschatz, war alles zunächst etwas verwirrend. Meinen Mit-Studis ging es aber nicht sonderbar viel besser. Der gute alte Trick „Ich steh dann auf wenn auch alle anderes stehen“ ist schwierig, wenn sonst kaum jemand anwesend ist. Aber auch das haben wir gut gemeistert.
Die ersten 75 Minuten waren geprägt von Nicholaus und vor allem von Musik. Da ich von dem, was erzählt wurde, sowieso nichts verstanden habe, und meiner Liebe zur Musik, möchte ich genauer auf diese Eingehen: Durchaus erwartungsgemäß, aber dennoch schade, nutze einer der Musiker die Gitarre nicht, um fetten Black-Metal zu spielen, sondern nutzte sie irgendwie gar nicht. Vielleicht waren wir auch zu früh wieder raus, aber sie wurde leider nicht genutzt. Auch konnte ich leider kein Schlagzeug sehen, vor allem in der ersten Zeit hörte ich wirklich oft eine:n Drummer:in auf diesem schönen Instrument in der Kirche spielen – leider nicht gestern. Drei Chöre sangen gestern, ersterer am häufigsten und wirklich wirklich gut, es machte großen Spaß diesem zuzuhören! Der Chor bestand aus ca. zwölf Sängerinnen und Sängern, davon ungefähr zu zwei Dritteln aus Frauen. Wenn ich mich nicht verhört und/oder verzählt habe, dann wurde immer mindestens drei- teilweise sogar fünfstimmig gesungen, und das alles andere als schlecht! Der Phrase „einen Gottesdienst feiern“ wurde hier wirklich mal leben eingehaucht. Ist man gar nicht gewohnt, aber schön anzuhören war es dennoch. Ein zweiter Chor aus älteren Damen und ein Kinderchor rundeten das musikalische Angebot ab.
Um 9:00 füllte sich die Kirche dann auch langsam aber sicher. Aus uns unbekannten Gründen saßen links nur Frauen und rechts nur Männer. Uns (und vor allem Rebecca) war dies nicht klar, mir wurde es auch erst klar, als ich nach dem Gottesdienst darauf angesprochen wurde. Aber egal, die spanische Inquisition steht noch nicht vor der Türe, also sollte auch alles gepasst haben. Zudem waren irgendwann bestimmt 100 Kinder in der Kirche. Einige standen auch vorne und Beteten oder hielten Fürbitten – aber keine Ahnung, die Sprache, you know.
Um viertel nach neun begann der Kantor eine Predigt zu halten. Swahili kann ja durchaus mal aggressiv klingen, auch wenn er sicher etwas schönes erzählte, dann klang er doch viel mehr so, wie ein cholerischer Trainer einer C-Klasse Fußballmannschaft der sich beschwerte, wie schlecht „seine Jungs“ doch spielen würden. Unser Watchman und Freund Davis erklärte, dass er über die Funktionsweise des Herzens und die Auswirkung auf uns referierte. Naja, wenn ich an manch eine:n Dozent:in denke, dann war das wilde Rumgefuchtelt gar nicht so unpassend. Eine deutsche Predigt mach einem durchaus lange vorkommen, aber eine dreiviertelstündige Predigt, zudem noch auf Swahili, in Kombination mit einer Bank aus Napfschneckenzahn, ist dann doch eher mit der Bauzeit des Doms zu Kölle vergleichbar. In Ermangelung an weiterem Sitzfleisch und Unwissenheit, ob gleich wieder eine ewige Predigt folgen würde – von der wir ohnehin nichts verstehen würden – entschlossen wir uns, wieder zurück zum Doctor‘s House zu laufen. Übrigens dauerte der Gottesdienst wohl fast vier Stunden…
Im weiteren Tagesverlauf sollte es eine kleine Wanderung zum anderen Ende der Bucht geben – der Versuch letzte Woche ist, aufgrund unserer, zu diesem Zeitpunkt noch allumfassenden, Wasserscheu, abgebrochen worden. Den neuen Versuch begleitete ich auf einem kleinen Umweg, da mich meine Angst vor Parasiten aller Art noch fest umklammert. Ich nahm den Weg aussen rum, war auch sehr spannend, auch wenn ich fast verwundert bin, dass ich nicht von einer Schlange gebissen wurde – zumindest sahen die 3 m hohen Gräser, die ich durchquerte, stark danach aus. Nach kurzem Aufenthalt lief ich auch wieder zurück, besorgte noch Wasser (6 Flaschen à 1.000 TSH – also insgesamt 40 ct) und 4 sehr große Avocados (für insgesamt 2.000 TSH – also 80 ct). Retrospektiv muss ich schon sagen, dass ich bei den Avocados vermutlich über den Tisch gezogen wurde, Rebecca bezahlte zwei Tage zuvor nur die Hälfte, aber im Endeffekt konnte es mir hier auch nicht auf 40 Cent an.




Eine riesige Schüssel Guacamole – bestehend aus acht dicken Avocados, Tomaten und Zwiebeln – sowie Chipsies später, liefen die anderen drei mitsamt der Guacamole ins Dorf zu Michael‘s Sport Bar, um dort Lucas geliebtem Team zuzusehen, und noch mehr Chipsies für die Guacamole zu kaufen. Ich wollte eigentlich nachkommen, aber ich quatsche mich am Telefon fest, war auf jeden Fall sehr sinnvoll – Fußball, Pommes und Bier gehen auch in Deutschland ganz gut…
Der heutige Tag begann für uns auch erst um halb 10: Die Frühbesprechung bringt uns leider kaum was – wenn 75% der Anwesenden nur Swahili sprechen liegt das Problem auf der Hand. Das Krankenhaus schien heute wirklich verlassen zu sein, kaum Patienten, wir saßen wirklich lange mit Damas und Dr. Evans im OPD und ratschten. Auch das ist wieder eine Folge des Regens, dann steht hier gefühlt alles still – auch kommen keine Patientinnen und Patienten. Das OPD war fast leer, Male Ward 0, Female Ward 2, Childrens Ward 1, Maternity ca. 10 Patienten, also wirklich wie leergefegt.
Nach einiger Zeit bekamen wir dann doch Arbeit, es wurden noch zwei Kaiserschnitte anberaumt. Die Entscheidung zur Sectio fällt hier auch wirklich schnell, im Endeffekt ist das Risiko der Sectio geringer, als das Risiko einer Geburtskomplikation wie etwa einer Uterusruptur. Eine der größten Ängste hier. Ich stelle heute bei keiner der Sectios die erste Assistenz: Das Blutdruckmessgerät bestätigte heute morgen meine Vermutung, dass mein Blutung wo ist, wo er nicht hingehört: Am Arsch. Die letzten zwei Tage waren Kreislauftechnisch einfach zu gut, heute entschloss sich mein Körper wieder in die gewohnte Richtung zu laufen. Aber egal.
Bei der Versorgung des zweiten Kindes war ich dann auch im Major Theatre, ich kümmerte mich um das Neugeborene. Leider passierte hier wieder etwas, was fast alltäglich ist: Das Kind kommt wirklich „nicht gut“ zur Welt (APGAR 1, wem es etwas sagt), eine Folge des Ketamins. Leider ist kein anderes Anästhesieverfahren als Ketamin pur möglich. Es besteht keine Beatmungsmöglichkeit, an Sauerstoff, Druckluft, Narkosegeräte, ne Absaugung oder überhaupt ein OP-Tisch, mit dem auch eine spinales Verfahren anwenden könnte („Rückenmarks-Narkose“), darf man überhaupt nicht denken. Auch ist – wie quasi immer – mitten in der OP der Strom ausgefallen, bis jemand die Netzersatzanlage angeworfen hat vergeht auch immer eine gewisse Zeit. Gut und gerne auch mal ne halbe Stunde. In dieser Zeit gibts kein Licht, der Sauerstoffkonzentrator läuft nicht, die Klimaanlage, welche sowieso nur mit Müh‘ und Not gegen die Hitze anröcheln kann, versagt ihren Dienst. Lediglich das Pulsoxymeter funktioniert noch mit Akku. Aber zurück zum Kind. Blau, schlaff, ohne Reaktion erblickt unser kleiner Junge das noch funktionieren Licht des OPs im St. Anne‘s Hospital. Die erste Versorgung erfolgt dann auf einem Servierwagen auf dem nur wenig Hilfsmittel zur Verfügung stehen: Außer einem undichten Beatmungsbeutel, einer viel zu großen Beatmungsmaske, einer kleinen, stetig auseinanderfallenden, Absaugpumpe und einer einzigen Nabelklemme gibts hier nichts. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als fleißig zu stimulieren, einmal absaugen, zweimal die besch***** Absauge wieder zusammenzubauen, wieder stimulieren, einmal absaugen, zweimal usw. und ein wenig hoffen, dass der kleine Junge anfängt zu schreien. Monitoring gibt es, oh wunder, selbstverständlich nicht. Unser Kleiner brauchte dann etwas Zeit, nach ca. 5 Minuten war er ein wenig besser dran (APGAR 4), aber bei weitem noch nicht perfekt, nach ca. 15 Minuten hielt ich dann endlich einen gesunden, gut entwickelnden und schreienden Jungen (APGAR 9) im Arm. Also alles nochmal gut gegangen. Ist hier leider nicht immer so.
Am Nachmittag waren wir kurz im Ort, eine Ananas (für 1.000 TSH, ca. 40 ct) und allerhand sonstigen Dingen des täglichen Lebens, sowie zwei mindererfolgreichen Billardrunden (ja, es gibt hier Billardtische. Am anderen Ende der Welt. Quasi auf der Straße. Billard. Feels a bit strange.) ging‘s zurück zum Doctor‘s House, die geliebte Ananas schlachten und Blog schreiben. Mittlerweile sitze ich beim Sonnenuntergang am Strand und tippe fleißig, gleich gibt‘s dann wieder Chipsies von Monika. Wird sicher wieder gut!
Übrigens habe ich heute viele viele Bilder vom Krankenhaus gemacht, morgen folgen weitere. Also sollte die Tage, einer der ersten Einträge zum Krankenhaus folgen, dieses mal auch wirklich mit Bildern!! Ich lade hoch, sobald es geht. Versprochen!
Zudem möchte ich mich kurz bedanken, bei all den fleißigen Leserinnen und Lesern. Ich freue mich über jeden Kommentar und jede Nachricht die mich erreicht, lese alles sehr freudig und bin mittlerweile echt begeistert, was aus dieser Schnapsidee geworden ist. Danke fürs lesen!
Schwitzende Grüße aus Tanzania!
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